Leadership & Seniorität in Sozio-/Holokratischen Organisationen

Thema: Leadership & Seniorität in Sozio-/Holokratischen Organisationen
Speaker: Henning Grote, UX Lead bei BITGRIP

Als dritten Talk habe ich mir beim UXcamp 2023 das Thema Leadership ausgesucht, auf das ich in meinem Blog nochmal näher eingehen möchte. Ein Thema, mit dem ich mich seit meiner eigenen Gründung immer wieder beschäftige. In den letzten 15 Jahren habe ich in den unterschiedlich geführten Organisationsformen in Firmen und Vereinen gearbeitet und meine Erfahrungen gesammelt, was gut und was weniger gut funktioniert.
Seit Oktober 2021 arbeite ich bei DAYONE in einem soziokratisch organisierten Unternehmen. Dieses Organisationsmodell basiert auf Selbstorganisation und Teilhabe aller Angestellten. Die Idee dahinter ist, dass Mitarbeitende in selbstorganisierten Teams, sogenannten Circles, arbeiten und jeder Circle für bestimmte Aufgaben und Themenbereiche verantwortlich ist und eigene Entscheidungsbefugnisse hat. Die Circles fördern Entscheidungstransparenz und ermöglicht es jedem, seine Meinung einzubringen und das Unternehmen mitzugestalten, was für mich in einer Firma erstmal neu war. Zusätzlich zu den internen Circles in denen wir intern organisiert sind, arbeite ich seit August 2022 extern in einer Lead-Position für den Kunden KIND, indem ich für die Produktentwicklung der internen Mitarbeiteranwendung verantwortlich bin. Also entschied ich mich für die offene Diskussion von Hennig Grote zum Thema Leadership & Seniority. Die Diskussion startetet mit einer gemeinsamen Themensammlung und einer Abstimmung, auf welches Thema das Publikum näher eingehen möchte.

Das Publikum entschied sich für das erste Thema: „Who should lead? Those who want to often arent good at it?”. Übersetzt: „Wer sollte führen? Diejenigen, die es wollen, aber oft nicht gut darin sind?“ und „What does it take to be a good leader?“ – Was braucht es, um eine gute Führungskraft zu sein?
Und als zweites Thema „About which seniority are we talking? On the job or the org (Claryfying Expectations)“ Übersetzt: Von welchem Dienstalter ist die Rede? Über den Job oder die Organisation.

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Im Publikum waren die unterschiedlichsten Personen anwesend, die in hierarchisch und nicht hierarchischen geführten Unternehmen tätig sind, somit hatten die Anwesenden unterschiedliche Meinungen zu der Leadership Frage. Die Frage ist komplex und nicht ganz einfach zu beantworten, denn die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen und der Organisation sind sehr individuell. Klassische Unternehmen sind oft auf Produktivität und Gewinnmaximierung ausgelegt, während soziokratische Unternehmen auf die Schaffung einer gesunden Arbeitsumgebung und die Förderung des individuellen Wohlbefindens und der Kreativität der Mitarbeiter:innen abzielt.

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Die zwei Systeme im Vergleich

In hierarchischen geführten Unternehmen ist es üblich, dass Mitarbeiter:innen, die den Wunsch haben, in eine Führungsposition aufzusteigen, die Möglichkeit erhalten, dies zu tun. Dies kann beispielsweise in Form von Aufstiegschancen oder Schulungen geschehen. In solchen Fällen besteht die Hoffnung, dass sich die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeiter:innen im Laufe der Zeit verbessern und sie gute Führungskräfte werden. Die Entscheidungen können längere Zeit in Anspruch nehmen. Eine Führungsposition kann jemandem übertragen werden, der nachweislich über die erforderlichen Fähigkeiten und Erfahrungen verfügt, unabhängig davon, ob er oder sie den spezifischen Wunsch hat, eine Führungsrolle einzunehmen. In solchen Fällen stehen Kompetenz und Effektivität der Führungskraft im Vordergrund. Die Entscheidungsgewalt liegt dann hauptsächlich bei den Managern, während den Arbeitern eine passive Rolle zugewiesen wird. Dies kann zu einem Mangel an Mitarbeiterengagement und einer geringeren Nutzung der Fähigkeiten und Ideen der Mitarbeiternden führen. Starre Arbeitsabläufe und die fehlende ganzheitliche Sichtweise lassen wenig Raum für Kreativität oder Innovation und können dazu führen, dass Organisationen träge werden und Schwierigkeiten haben, sich an neue Herausforderungen anzupassen.

Bei nicht hierarchischen geführten Unternehmen hingegen setzt man auf Selbstorganisation, die es den Teams ermöglicht, ihre Arbeit eigenverantwortlich zu gestalten und Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Dadurch kann die Motivation und die Kreativität der Mitarbeitenden gesteigert werden, was wiederum zu besseren Ergebnissen führen kann. Jeder kann seine Meinung äußern und es wird sichergestellt, dass alle Informationen offen kommuniziert werden. Im besten Fall arbeiten die Teams eigenständig und treffen selbst die Entscheidungen, somit können sie schnell auf neue Herausforderungen reagieren und Prozesse anpassen. Es gibt jedoch einige potenzielle Nachteile, die mit der Anwendung der Soziokratie verbunden sein können, wie z.B. die Komplexität oder aber eine Konsensfindung die nicht immer einfach ist. Obwohl die Soziokratie den Konsens als Entscheidungsprinzip betont, kann es dennoch schwierig sein, einen echten Konsens in allen Situationen zu erreichen. Die Einführung der Soziokratie erfordert eine Veränderung der bestehenden Organisationskultur und ein Verständnis und Beherrschung spezifischen Methoden und Prozesse. Es benötigt Zeit- und Ressourcen.

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Die Zusammenfassung der Insights aus dem Publikum

„What does it take to be a good leader?“ – Was braucht es, um eine gute Führungskraft zu sein?

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Folgende Punkte wurden vom Publikum genannt:

– fungiert nicht als Vorgesetzter
– schafft psychologische Sicherheit
– Führung ist eine sich entwickelnde Qualität
– eine gute Führungskraft befähigt wie ein guter Coach
– eine gute Führungskraft hat Enthusiasmus und Erfahrung
– eine gute Führungskraft muss die Bereitschaft haben, eine Führungskraft zu sein
– eine gute Führungskraft muss Entschlusskraft haben

– wandelt Prozesse in Herausforderungen um
– erkennt die Stärken der Teammitglieder
– Führung kann sich in Situationen manifestieren, nicht nur in Rollen
– Einfühlungsvermögen und soziale Kompetenz
– eine gute Führungskraft muss ein guter Kommunikator sein
– beseitigt das Chaos

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Henning Grote hat mir seine Zusammenfassung in einem Miro Board zur VerfĂĽgung gestellt: https://miro.com/app/board/uXjVMA1szf8=/

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Meine Erkenntnisse und Learnings

Persönlich finde ich Unternehmen spannend, die neuen Modelle ausprobieren, deswegen auch meine aktuelle Position bei DAYONE. Neue Formen erfordern selbstorganisiertes Handeln und eine fachliche Expertise, um gute Entscheidungen im Team zu treffen. Eine Sache, die ich schon oft erlebt habe, ist der einer kognitiven Verzerrung bei der Entscheidungsfindung. Diese wird als der Dunning-Kruger-Effekt beschrieben. Dabei handelt es sich um eine Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen. Diese Neigung beruht auf der Unfähigkeit, sich selbst mittels Metakognition objektiv zu beurteilen, was ganze Teams und Unternehmen gefährden kann.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dunning-Kruger-Effekt

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Soziokratie ist nicht für jede Organisation oder jedes Umfeld geeignet. Einige Unternehmen oder Branchen haben spezifische Anforderungen oder Strukturen, die nicht nahtlos in das Soziokratie-Modell passen. Es ist wichtig, die spezifischen Bedürfnisse und Kontexte einer Organisation zu berücksichtigen, bevor man sich für die Anwendung der Soziokratie entscheidet. Jede Organisation muss sorgfältig abwägen, ob die Soziokratie zu ihren Zielen, ihrer Kultur und ihrem Kontext passt und auch jede Person sollte für sich entscheiden, wie selbstorganisiert man arbeiten möchte und auch kann.

Ein hierarchisches Modell mit Leveln und Stufen sind nicht immer schlecht, denn sie geben Mitarbeitern eine Orientierung, ihre Karriere zu planen und Transparenz. FĂĽr junge Menschen, die neu im Beruf sind, kann ein hierarchisches Modell Vorteile bieten, um sich erstmal im Beruf zu orientieren und selbstorganisiertes Arbeiten zu lernen.

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Ein Beispiel aus der Praxis

Spannend fand ich vor ein paar Jahren den Ansatz von der Agentur Aperto (jetzt IBMx), die den Mitarbeiter:innen zwei Karrierepfade anbot. Sie unterschieden zwischen Führungs- und Fachkarriere: Manager vs. Experte. Es erkennt an, dass nicht alle Mitarbeiter:innen, die in ihrem Fachgebiet herausragend sind, automatisch auch gute Manager sein müssen. Sie hatten die Möglichkeit, zwischen einer Führungs- oder Expertenkarriere zu wählen. Das ermöglicht den Mitarbeitern, ihren individuellen Stärken und Interessen zu folgen.
Wie ich gehört habe, wurde das Modell nicht von vielen Personen angenommen und ob es so noch im Einsatz bei IBMx ist, weiß ich leider nicht. Die Gründe konnte ich bedauerlicherweise noch nicht herausfinden, falls jemand einen Kontakt zu einer Person hat, die bereit wäre, sich zu dem Thema mit mir auszutauschen, wäre ich sehr dankbar.

Quelle: https://medium.com/aperto-an-ibm-company/10-gebote-zur-einfĂĽhrung-eines-karrieremodells-in-einer-kreativagentur-3cf31a322405

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Rollenmodelle bei Sozio-/Holakratischen Unternehmensformen

Die Diskussion über Rollenmodelle in Sozio-/Holakratischen-Unternehmensformen wirft viele Fragen auf. Was ich selber beobachtet habe ist, dass Selbstorganisation bestimmte Kompetenzen erfordert, die für manche Mitarbeiter:innen schnell überfordernd sein kann. Gerade wenn Personen noch nicht so viel Berufserfahrung haben können diese Person schnell überfordert sein. Auf der anderen Seite können aber auch sehr erfahrene Personen durch zu viele Fehlentscheidungen das Unternehmen verlassen.
Nicht jede:r Mitarbeiter:in ist gleich gut selbstorganisiert und diverse Teams mit unterschiedlichen Hintergründen oder Persönlichkeitstypen treffen meist die besseren Entscheidungen somit kommt es wie immer auf einen guten Mix drauf an. Es ist entscheidend, dass Unternehmen genügend Ressourcen und Unterstützung bieten, um Mitarbeiter:innen bei der Entwicklung ihrer selbstorganisatorischen Fähigkeiten zu unterstützen und den Druck im Team zu bewältigen.

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Lead Rollen

Manchmal reicht eine Selbstorganisation nicht aus und es benötigt in Projektarbeiten mit externen Firmen einen Projekt-Lead oder ein Team Lead auf Kundenseite womit dann eine Hierarchie im Projektteam verbunden ist. Die Person, die eine Leadposition einnimmt, sollte Fachexpertise, Führungsqualitäten und eine visionäre Rolle erfüllen können und genügend Erfahrung mitbringen. Als Team Lead ist es entscheidend, das Vertrauen des Teams zu gewinnen, eine inspirierende Rolle einzunehmen und gleichzeitig dem Team die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung zu geben. Ein Lead unterstützt das Team, lässt Freiheiten und hat gleichzeitig ein tiefes Wissen über das Produkt und kennt die Kundenbedürfnisse, um die richtigen Entscheidungen mit dem Team zu treffen.

Meine persönliche Definition einer Lead-Rolle:

Meine Rolle als UX Lead besteht darin, das Team zusammenzuhalten und es auf Erfolgskurs zu bringen. Ich bin da, um die Stärken und Talente jedes Einzelnen zu erkennen und zu fördern. Ich schaffe eine Umgebung, in der sich alle wohl und gehört fühlen, und ich fördere die Zusammenarbeit und den Austausch von Ideen.
Ich verstehe, dass erfolgreiche Führung nicht durch Kontrolle oder Dominanz erreicht wird, sondern indem man das Vertrauen des Teams gewinnt. Ich gebe Raum für Kreativität und eigenverantwortliches Arbeiten, während ich gleichzeitig die Verantwortung trage, den Rücken des Teams freizuhalten und Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Als Lead bin ich eine Quelle der Inspiration und Motivation fĂĽr das Team. Ich teile meine Vision und Ziele und sorge dafĂĽr, dass jede einzelne Person sein volles Potenzial entfalten kann. Dabei ist es wichtig, dass ich auch selbst weiterhin lerne und mich weiterentwickele, um stets ein Vorbild zu sein. Insgesamt betrachte ich meine Lead Rolle als eine Balance zwischen Teamplayerin und Mentorin. Ich arbeite aktiv daran, ein unterstĂĽtzendes Umfeld zu schaffen, in dem sich jeder entfalten kann, und trage dazu bei, dass wir gemeinsam groĂźartige Ergebnisse erzielen.

„Ich stehe meinem Team zur Seite, unterstütze und befähige die einzelnen Personen im Team und nehme mich selbst zurück, um das Beste aus ihnen herauszuholen. Ich kommuniziere auf Augenhöhe. Auf der einen Seite sehe ich mich auch als Mannschaftskapitänin auf dem Spielfeld, die inspiriert und motiviert zusätzlich agiere ich auch als Trainerin, die Anleitung und Unterstützung bietet. Ich betrachte mich niemals als Besitzerin am Spielfeldrand.“
franzidesign

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Abschließend ist die Frage nach der idealen Führungskraft in der Tat komplex und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es erfordert eine individuelle Betrachtung der Stärken, Fähigkeiten und Motivationen der Mitarbeiter:innen sowie die Bereitschaft als Unternehmen, in die Entwicklung der Mitarbeiter:innen zu investieren. Es ist wichtig, dass Unternehmen verschiedene Ansätze und Modelle ausprobieren, um eine Kultur der Führungsfähigkeiten und -entwicklung zu fördern und schnell Anpassungen vornehmen. Es erfordert eine sorgfältige Abwägung der individuellen Umstände und Anforderungen des Unternehmens. Es gibt kein allgemeingültiges Antwortmuster, da jeder Fall einzigartig ist. Empathie, Wertschätzung, arbeiten auf Augenhöhe und eine positive Arbeitsumgebung sind das A und O, damit die Mitarbeiter lange in einem Unternehmen bleiben.

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Demnächst auf meinem Blog

Seit Sommer 2022 bin ich mit den unterschiedlichen Personen, die in nicht klassisch gefĂĽhrten Unternehmen arbeiten, wie z.B. Christian Korff, Senior UX Berater von UX&I, im Austausch, was bei ihnen gut und was nicht gut funktioniert.
Im Januar habe ich auf Koh Phangan durch Zufall einen alten Kollegen aus der GrĂĽnderwerkstatt, Dirk Fehse von PaulCamper, wieder getroffen. Er hat eine Onlineplattform fĂĽr privates Camper Sharing erfolgreich aufgebaut und verkauft. Mit ihm habe ich mich intensiv ĂĽber Vor- und Nachteile von Unternehmensformen unterhalten. Durch die EinfĂĽhrung von Soziokratie hat er selbst die Vor- und Nachteile kennengelernt. Auf der einen Seite hat er durch die EinfĂĽhrung der neuen Unternehmensform das Unternehmen fast an die Wand gefahren, auf der anderen Seiten hat er sehr viel gelernt und aus den Erfahrungen gewisse Vorteile wiederrum in den Umbau integriert.

In der letzten Woche habe ich mich dann auch nochmal persönlich mit Henning Grote zum Feierabendbier getroffen, um sich in lockerer Atmosphäre über seine Erfahrungen tiefer auszutauschen. Er hat 2019 bei BITGRIP den Loop Approach im Unternehmen mit eingeführt und ist Ansprechpartner für das Thema. BITGRIP veranstaltet am 12. Juli ein exklusives Meetup zu dem Thema „Transformation Talks: adaptive Organisationen im Reality Check“ für das man sich kostenfrei registrieren kann. Ich bin schon sehr gespannt.

https://www.eventbrite.com/e/transformation-talks-adaptive-organisationen-im-reality-check-tickets-667391835947

Zu dem Interview mit Dirk und meinen gesammelten Insights aus den Gesprächen wird es auch nochmal einen ausführlichen Blogbeitrag auf franzidesign geben. Falls du dich jetzt angesprochen fühlst und deine Erfahrungen mit mir teilen möchtest, dann schreibe mich gerne an.

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WeiterfĂĽhrende Links:

10 Gebote zur EinfĂĽhrung eines Karrieremodells (in einer Agentur)
https://medium.com/aperto-an-ibm-company/10-gebote-zur-einfĂĽhrung-eines-karrieremodells-in-einer-kreativagentur-3cf31a322405

Links von Peter Boersma (peter@peterboersma.com):
I gave a talk about Design Leadership at EuroIA 2020 (scheduled to happen in Berlin but ran online due to Covid). It was called „From Konami Code to Peter Principle – leadership responsibilities“.

Here’s the original description of the talk:
https://2020.euroia.eu/programme/talks/from-konami-code-to-peter-principle-leadership-responsibilities/

You can find a video recording (apologies in advance for the loud sound effects!) here:
https://www.dropbox.com/s/ewh2sbko8f8xof7/EuroIA_2020_Peter_Boersma_Konami_Code.m4v?dl=0

and just the slides here: https://www.slideshare.net/pboersma/from-konami-code-to-peter-principle-leadership-responsibilities-euroia-2020

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Franzi Detail

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