NN/g: UX-Konferenz 2021: Product Discovery

Mein Kursthema: Discoveries: Building the Right Thing

In meiner beruflichen Karriere habe ich schon unzählige Zertifizierungen und Schulungen ausprobiert und nun stand meine erste Konferenz bei Nielson & Norman an.
Kurz zum Hintergrund der Konferenz: NN/g ist ein amerikanisches Beratungsunternehmen für Computerbenutzeroberflächen und User Experience, das 1998 von Jakob Nielsen und Don Norman gegründet wurde. Beide gelten als UX Pioniere. Ihre Arbeit umfasst die Analyse von Benutzeroberflächen und wenn man sich mit dem Thema UX beschäftigt, dann kommt man vor der NN/g nicht vorbei.

Los ging es für mich am 14. Mai 2021 mit einem kurzen Impulsvortrag von Jakob Nielsen persönlich, der die Top 10 Design Mistakes & Tech Check 2021 in einer LIVE Keynote in Zoom präsentierte. Gemütlich aus dem Hotelzimmer auf Fuerteventura schaute ich mir das kurze Intro an und war gespannt auf meinen Kurs.


Inhalt und Aufbau der Konferenz

Wenn man sich für die Konferenz entscheidet, kann man aus drei Themenbereichen wählen: Interaction Design, UX Management oder aber Research. In den einzelnen Bereichen gibt es dann unterschiedliche Kursthemen, aus denen man auswählen kann. Ich hatte mich für das Thema: Discoveries: Building the Right Thing aus dem Bereich Research entschieden.


Themen im Bereich Research:


Voraussetzungen für eine UX Master-Zertifizierung
Wenn man 5 Konferenzen plus Prüfung mit mindestens 80 Prozent abschließt, bekommt man ein Zertifikat. Absolviert man 15 beliebige NN/g-Schulungskurse aus den drei Bereichen wird man UX Master. Die Kurse können auf einer virtuellen UX-Konferenz oder normalerweise auf -Konferenzen an verschiedenen Orten absolviert werden, entweder im Ganztages- oder in 2 Halbtagesformaten.

Link: https://www.nngroup.com/training/june/#paymentFaq


Timing

Da die Konferenz bzw. der Kurs mit 799.00 USD plus 80 USD Prüfungsgebühr (735,87 €) nicht ganz günstig ist, hatte ich mich entschieden erstmal nur einen Kurs zu absolvieren. 
Los ging es für mich am 19. Mai um 17 Uhr. 46 Teilnehmer aus der ganzen Welt versammelten sich in einem Zoom-Call. Zusätzlich wurde Slack als Chat und Netzwerk Tool und Miro für die Teamarbeit genutzt. Zur Konferenz gab es ein PDF mit den Inhalten. Durch den Abend führte uns die Speakerin Maria Rosala (User Experience Specialist) aus Michigan, USA. Wir starteten mit einer Übung in Miro, um unsere Gruppe kennenzulernen. Ich war in einer Gruppe mit einer UX Designerin aus Luxemburg und eine Researcherin aus England.


Was ist eine Discovery

Als Erstes wurde erstmal erklärt, was eine Discovery ist und wann der Einsatz Sinn ergibt. Die Discovery wird verwendet, wenn viele Sachen bei einem Projekt noch unklar sind. Man fokussiert sich auf die ersten zwei Phasen des Double Diamond Prozesses: der Discover und Define Phase. Was ist das wirkliche Problem und was ist die Challenge? Der Mehrwert von Discoverys ist, dass sie uns helfen, auf die richtigen Probleme zu konzentrieren und die richtigen Fragen zu stellen, anstatt Dinge blind zu gestalten oder zu entwickeln. 


Mögliche Anwendungsfälle

  • Neues Produkt / Dienstleistung / Feature
  • Erkundung neuer Marktchancen
  • Neue Gesetzgebung / Regulierung
  • Neue Unternehmensstrategie
  • Chronische Probleme oder Fehler bei einem Produkt/einer Dienstleistung 
  • Aktualisierung bestehender Technologien
The bar chart shows the percentage of respondents who reported their last project to be successful. People who worked on a project with a discovery phase were more likely to report success than those whose projects did not have a discovery phase. Error bars indicate the 95% confidence interval.

Link: https://www.nngroup.com/articles/discoveries-in-industry-revealed/


Framing Problems

Wichtig ist sich auf ein Problem zu fokussieren damit wir nicht an den falschen Problemen forschen. Mir fällt es auch nicht immer leicht, die Probleme konkret zu formulieren und nicht zu schnell in die Lösungsfindung zu gehen.


Künstliche Probleme, die keinen Mehrwert schaffen braucht, niemand. Oft denken Stakeholder das sie die Lösung schon kennen, ohne mit dem Nutzer gesprochen zu haben. Ein aktuelles Thema, Nachhaltigkeit. Überall werden nachhaltige Lösungen wie zum Beispiel CO2 Rechner etc. eingebaut und die Nutzer gezwungen sich mit dem Thema auseinander zu setzen. Ist das die richtige Lösung und wollen Nutzer überhaupt einen CO2 Rechner nutzen? Wollen die Nutzer Bäume pflanzen, um ihr Gewissen zu beruhigen? Sollte man nicht erst mit dem Nutzer reden und ergründen, was seine Bedürfnisse sind, anstatt Dinge zu erschaffen die wohl möglich nur einmal oder keinmal genutzt werden? Oft fehlt es Designern an Mut die richtigen Fragen zu stellen oder aber auch mal einen Schritt zurückzugehen. Die Roadmap ist voll mit Ideen von Vorgesetzten, die sich schöne Sachen ausdenken. Doch wird der Nutzer nicht von Anfang an in den Prozess einbezogen kommt es oft zu unschönen Überraschungen, zu wenig Nutzer nutzen den Service oder aber ein weiteres bekanntes Problem: Externe Meinungen von Beratungsfirmen, die über den Meinungen und der Expertise von Designern stehen. 

Meine Aufgabe als UX Designer ist es Projektaufträge die als Lösungen verkleidet sind, zu hinterfragen, um das wirkliche Problem (die wirklichen Probleme) aufzudecken.
Meine erste Frage fast immer: „Warum?“


Die 5 W’s Fragetechnik

Wer ist von dem Problem betroffen? Wer ist beteiligt?
Was sind die Auswirkungen des Problems?
Wo tritt das Problem auf?
Warum tritt das Problem auf? Warum ist es wichtig?
Wie ist das Problem aufgetreten?

Die Problemformulierung sollte sich auf ein bestehendes Problem konzentrieren, und noch keine direkte Lösung enthalten und die sollte kurz (4-5 Sätze) formuliert sein. Was wollen wir erreichen und was ist das Ziel?


Die Planung einer Discovery

Die Teamzusammenstellung
Researcher (mindestens eine Person)
UX Researcher 
UX Designer 
UX Generalist 
Data Scientist / Analyst

Moderator (mindestens eine Person)
Product Manager 
Delivery Manager 
Project Manager 

Technischer Hintergrund (mindestens eine Person)
Developer / Engineer 
Technical Architect 
Business Analyst

Schnittstelle zur Organisation (mindestens eine Person)
Product or Service Owner 
Subject Matter Expert 
Account Managers


Die größte Schwierigkeit, ist oft sich auf eine Discovery einzulassen. Diese macht man nicht neben dem Tagesgeschäft oder anderen Projekten, sondern Vollzeit für einen definierten Zeitraum. Die Dauer ist je nach Komplexität des Themas im Durchschnitt zwischen 4 und 7 Wochen. Persönlich habe ich Discoverys begleitet die einen Tag gedauert aber auch welche die drei Monate gedauert haben, abhängig nach der Komplexität des Themas.


 
Eine weitere Schwierigkeit sind kognitive Voreingenommenheiten (cognitive biases), die ich bei meinem eigenen Start-up votingLAB damals auch falsch gemacht habe da ich dachte, dass alle Nutzer die gleichen Bedürfnisse wie ich haben. 

Der Konfirmationsverzerrung (Confirmation bias)
Die Tendenz, nach Informationen zu suchen, die unsere Überzeugungen bestätigen, und Informationen, die dies nicht tun, zu ignorieren oder ihnen mehr Bedeutung beizumessen.

„Wenn Sie glauben, dass etwas ein Problem ist, werden Sie nach Beweisen suchen, dass es tatsächlich so ist.“

Oder aber die Verankerungsvoreingenommenheit (Anchoring bias)
Die Tendenz, sich bei der Entscheidungsfindung zu sehr auf die ursprünglich angebotenen Informationen oder eine vorgeschlagene Lösung eines Stakeholders zu verlassen.

„Anekdotische Informationen von Interessengruppen oder Ideen zu Lösungen können unser Denken oft vernebeln.“


Der Zeitplan einer Discovery

Nach der Teamaufstellung kommt der Zeitplan. Dieser gibt dem Team das Gefühl der Dringlichkeit und vermittelt und verhindert, dass sich Entdeckungen unnötig in die Länge gezogen werden. Es geht es mit dem Problem Statement und der Zielformulierung los, um eine klare Vorstellung davon zu haben, was getan werden muss.


Desk Research – Explorative Forschung

Nach der Planung geht es dann mit dem klassischen Desk Research weiter. Daten Sichtung, Umfragen, Strategiedokumente, Befragungen und die Sichtung von vergangenen Forschungen. Es folgen Stakeholder Interviews, um die Businessziele zu verstehen und ganz wichtig die Frage zum Schluss: „Mit wem sollte ich noch sprechen?“ 
Die Explorative Forschung, die darauf abzielt, „Was“-, „Wie“- und „Warum“-Fragen zu beantworten, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, die zur Hypothesenbildung führen können. Gängige Methoden sind hierfür Benutzerinterviews und Feldstudien aber auch Umfragen, Fokusgruppen und Tagebuchstudien geben einen guten Einblick in die Welt der Nutzer.

A discovery isn’t a true discovery without user research

NN/g

Ort der Discovery

Wichtig ist es einen eigenen Bereich für das Team zu haben, wo alle Insights gesammelt werden. Am besten ein Raum oder ein Co-Working-Space wo das ganze Team zusammenarbeiten kann. Natürlich ist das auch remote möglich wobei ich den Kontakt vor Ort bei einer Discovery klar bevorzuge. Da man so viel einfacher und effektiver agieren kann und nicht an Online Tools gebunden ist. Gerade bei Datenschutz sensiblen Themen wie Banking, wo man Daten nicht einfach online teilen kann, ist ein analoger Raum ein klarer Vorteil. Alle Daten werden gesammelt geordnet und gemappt. Als UX Designer erstelle ich dann Service Blueprints und User Journey Maps, um die Daten aufzubereiten. 
Spannend fand ich eine Experience Map die vorgestellt wurde, die ähnlich wie eine Mental Map funktioniert. Experience Maps dokumentieren allgemeines menschliches Verhalten und sind nicht mit einem bestimmten Produkt oder einer Dienstleistung verbunden. Hat der UX Designer/Researcher sich auf ein Methodenset geeinigt, werden diese ausgearbeitet und Stakeholder involviert und Feedback eingeholt.


Abschluss der Discovery

Zum Schluss werden alle Ergebnisse in kurzen, prägnanten Aussagen zusammengefasst, und es werden klassische HMWs Fragen formuliert, um die Ideenfindung auf die richtigen Probleme und die richtigen Ergebnisse auszurichten.

HMW’s sollten:

  • etwas Gelerntes enthalten
  • offen formuliert
  • Lösungsorientiert
  • Fokus auf wünschenswerte Ergebnisse
  • Positiv geschrieben

Formulierung: 
Wir glauben, dass [dies zu tun] zu [diesem Ergebnis oder Verhalten] führen wird. 
Wir werden wissen, dass dies wahr ist, wenn wir [diese Rückmeldung, quantitative Maßnahme, qualitative Erkenntnis] sehen.


ROI
Danach sind wir auch nochmal auf den ROI (Return on Investment) eingegangen. Wobei die genauen Kosten nicht wichtig sind. Entscheidend: Ist die Lösung eine Investition wert? Danach folgen Hypothesen. Diese binden Lösungen an wünschenswerte Ergebnisse.


Zum Schluss das Change Statement

Formulierung:
Wir wollen [aktuellen Zustand] ändern, um [gewünschtes Ergebnis] zu erreichen.


Mögliche Outcomes einer Discovery

  • Personas
  • User needs Statements
  • Digitized maps
  • Finales Problem Statement
  • HMWs und / oder high-level Lösungen 
  • Change Statement und / oder Hypothesen

Was nicht bei einer Discovery rauskommt:

  • High-fidelity Prototypen 
  • fertiger Code
  • ein Backlog mit User Stories

Nach der Discovery

Retrospektive und Post Mortem 
Zum Abschluss der Discovery folgt eine Retrospektive oder eine Post Mortem Analyse, um die Arbeit der letzten Wochen zu reflektieren. Bei der Retrospektive arbeitet das Team kontinuierlich an seiner Verbesserung, während beim Post Mortem das Team rein nach den Erfahrungen, seinen Learnings gefragt wird. Der Unterschied: Sie arbeiten nicht an zukünftigen Lösungen, sondern schlagen diese nur vor. 

Retrospektive:
Was hat gut funktioniert?
Was hat nicht so gut funktioniert?
Gibt es Dinge, die wir beim nächsten Mal anders machen würden? 

Post Mortem: 
Rückblickende Betrachtung über die komplette Lebenszeit des Projektes.
Lessons and LearnedWas können wir aus den Fehlern und Erfolgen lernen.


RetrospektivePost Mortem
Häufigkeit1x pro Iteration1x Projekt
Zeitraumletzte IterationGesamte Zeit
FokusPositive Dinge & mögliche VerbesserungenErfolge & Fehler
ZielgruppeTeamOrganisation
ErgebnisNächste VerbesserungenDokumentation

NN/g Fazit:

#1. Discoveries are messy. That doesn’t mean your thinking needs to be!
#2. Spend time to frame the problem. Frame, frame, and frame again!
#3. Don’t box yourself in.


Mein persönliches Fazit:

Würde ich die Konferenz weiterempfehlen? Ja! Ich fand das kompakte Format zum Thema „Discoveries: Building the Right Thing” sehr gut aufbereitet und vermittelt. 

Inhaltlich:
 Wer sich für das Thema interessiert und einen schnellen Einstieg in die Thematik bekommen möchte, den kann ich den Kurs empfehlen. Innerhalb der kurzen Zeit bekommt man sehr viel Wissen kompakt vermittelt. Zu den Vorträgen gab es zusätzlich ein Template in Miro, in dem die einzelnen Teams gearbeitet haben. Die interaktive Zusammenarbeit in Miro war eine gute Abwechslung, um die Themen zu festigen. 
Der Kurs vermittelt einen guten Überblick über die Research Phase. Wenn man aber tiefer in die Methoden einsteigen möchte, um eine Discovery umzusetzen, benötigt man weitere Kurse oder ein tieferes Methoden Verständnis, um eine Discovery durchzuführen, zu können. Es ist ein sehr gutes Intro in das Thema.   

Organisatorisch:
 Durch die Zeitverschiebung ging es für mich um 17 Uhr los und der letzte Slot endete um Mitternacht. Einen vollgepackten Arbeitstag vor und nach so einem Kurs kann ich niemanden empfehlen. Durch die Konferenz führen zwei Personen, eine Moderatorin und eine weitere Person, die offene Fragen per Chat beantwortete.

Sprache: Erwähnen möchte ich, dass es für mich persönlich an der ein oder anderen Stelle als nicht nativ Speaker nicht immer einfach zu folgen war, da die Konferenz in Englisch stattfindet. Gerade wenn es, um richtig formulierte Sätze geht dann ist es in der Muttersprache einfacher und schneller Sachen richtig auf den Punkt zu formulieren.

Negativ: Einziger Punkt, dass wir in unserer Gruppe am Anfang zu dritt waren und ab der zweiten Gruppenarbeit nur noch zu zweit. Bei mehreren Teilnehmern würde man noch mehr Insights und Erfahrungen austauschen können was bei uns leider nicht der Fall war. 

Die Prüfung danach: Nach der Konferenz bekommt jeder Teilnehmer eine Prüfung mit 30 Fragen, die in 60 Minuten beantwortet werden müssen. Da ich die Konferenz nicht alleine absolviert habe kann ich sagen, jeder Teilnehmer bekommt unterschiedliche Prüfungsfragen. 😉 Mein Ergebnis: Bestanden. 97 Prozent!
Ich war super zufrieden mit dem Ergebnis. 

Als Verbesserung habe ich mitgegeben, dass man die Texte aus den Fragen nicht in einen Übersetzer kopieren konnte, wusste man ein Wort oder mehrere nicht dann mussten diese per Hand getippt werden was hinderlich sein kann.


Zum Schluss möchte ich mich nochmal ganz herzlich bei Neugelb für die Möglichkeit der Weiterbildung bedanken.


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